Wenn mich Kunden für eine Sattelanprobe anrufen, sagen sie oft: „Bring bitte Dressursättel mit tiefem Sitz mit, ich reite Dressur“. Dann rolle ich manchmal ein bisschen mit den Augen, ich sag´s ganz ehrlich. Nicht weil ich gemein bin – im Gegenteil – sondern weil ein tiefer Sattel eine Krücke ist, die du als ReiterIn nicht brauchst.
Zu tiefe Sättel verhindern gutes Reiten.
Und sie verhindern das echte Zusammenspiel mit deinem Pferd.
Lass mich das näher erklären:
Eine tiefe Sitzfläche bewirkt folgendes:
Dadurch, dass der Sattel vorne und hinten hochgeschnitten ist, „bettet“ er den Reiter mehr ein. Klar, das fühlt sich erst mal gut an: Man hat vermeintlich mehr Halt, es ist mehr „um einen rum“, und man hat das Gefühl, dadurch tiefer am Pferd zu sitzen.
Subjektiv kann man gerader und ruhiger sitzen. Jetzt kommt das große ABER:
Der Reiter wird dadurch, dass der Sattel vorne und hinten höher geschnitten ist, in seinem Becken eingerahmt gehalten. Das soll aber überhaupt nicht sein! Wir brauchen ein frei bewegliches Becken beim Reiten! Das Becken sollte sich vom Pferd bewegen lassen: Nach vorne, nach hinten und seitlich. Wenn wir in der Bewegung unseres Pferdes blockiert sind, leidet unsere Haltung, der Rhythmus und wir blockieren sogar rückwirkend das Pferd.
Damit sich das Becken bewegen kann braucht es Platz.
Eine flache Sitzfläche bewirkt folgendes:
Dadurch, dass der Sattel vorne und hinten relativ flach geschnitten ist, bietet er dem Reiter nach allen Richtungen Platz:
- Platz, um das Becken ungehindert vom Pferd bewegen zu lassen.
- Platz, um sich mal ein bisschen weiter vor oder zurück zu setzen, um etwas auszugleichen.
- Platz, sich so auszubalancieren, dass man von der Anordnung seiner Knochen her eine gute eigene Grundbalance im Sitz haben kann.
Wir werden nicht eingerahmt und an Bewegungen gehindert. Halt geben wir uns dadurch, dass wir uns ausbalanciert hinsetzen können, weil wir uns NICHT vom Sattel in eine vorgegebene Position bringen lassen (müssen).
Fazit:
Ein tiefe Sitzfläche ist nicht so ein Problem, wenn sie groß beziehungsweise lang genug gewählt wird und der Reiter sich nicht eingekastelt vorkommt. Richtschnur ist, dass, wenn du in der Mitte des Sattels sitzt, zwischen deinem Po und dem Hinterzwiesel noch GUT eine Handbreit Platz ist. Ich finde aber dass man – um sich selber zu überprüfen – auch auf einem flachen Sitz ausbalanciert sitzen können sollte, sonst lügt man sich selber an, ganz ehrlich.
Manchmal blockiert einen auch nur seine eigene Einstellung oder weil man eben Dressurreiten mit gestrecktem Sitz verbindet!
Wenn du meinst, du könntest „nur“ in einem tiefen Sitz sitzen, weil du den Halt brauchst, dann bitte ich dich: Probiere einfach mal einen flachen Sitz aus; auch wenn es sich ungewohnt anfühlt und du in puncto ausbalancieren neu gefordert bist. Und gib dem mal eine Chance.
Viele meiner Kunden sagen, wenn sie auf einem flachen Sitz sitzen (auch als Dressursattel) „Boah, der ist ja gut, ich habe Platz und sitze sicher weil ich mich gut selber ausbalancieren kann. Irgendwie sitze ich natürlicher, das hätte ich NIE gedacht“.
Ja, ist wirklich eine ungute Entwicklung am Sattelmarkt. Es werden in der Reitsportindustrie immer mehr Dinge produziert. die dem Reiter vermeintlich „helfen“ sollen. Hier eine gute Haftung, da ein Sattel der einen „automatisch“ in die „richtige“ Position setzt. Und im Grunde blockiert das alles den Körper, sich individuell in jeder Situation gut auszubalancieren. Aber der „Trend“ geht – zumindest bei einigen kleinen Firmen, wieder in die andere Richtung. Zum Glück.
Das stimmt! Ich kann dies nur bestätigen, nur gibt es kaum noch flache oder halbtiefe Sättel, das ist noch ein zusätzliches Problem.